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Müßige Schlafmützen
Je länger einer schläft, desto mehr verdient er. Wer bis zum Mittag schläft, erhält eine Sonderprämie. Wann und wo immer man ein Nickerchen machen möchte, man legt sich einfach aufs Ohr. Das nötige Bettzeug stellt die Natur. Es gibt Büsche, die tragen Betttücher aus Laub und ihre Rinde besteht aus Federkissen. Dieser Traum aus der „verkehrten Welt“ des Schlaraffenlands war spätestens ausgeträumt, als man sich anschickte, aus Zeit Geld zu machen. Wer ihn dennoch weiter träumen wollte, dem rückten Weckkommandos zu Leibe, die mit Stangen gegen die Fenster klopften, um die müßigen Langschläfer zur Frühschicht zu treiben. Wer sich auch dann noch taub stellte und nicht aus dem Bett herauskam, konnte sich, so wird es jedenfalls berichtet, auf eine noch wirkungsvollere Weise wecken lassen. Er band sich eine Schnur um den großen Zeh, die dann aus dem Fenster herausgehängt und vom Weckkommando wie ein Glockenseil gezogen wurde. (Lawrence Wright: Clockwork man. London 1968, S. 118)
Solch handgreiflicher Methoden bedarf es heute freilich nicht mehr. Die Zeitdisziplin hat sich als Kulturtechnik voll etabliert. Dass einer morgens nicht aus dem Bett herausfindet, den lieben langen Tag in den Federn liegen bleibt, gilt als Sinnbild von Faulheit und Müßiggang schlechthin. Der Volksmund nannte diese Spezies drastisch beim Namen: Murmeltier, Bärenhäuter, Schlafhaube, Schlafmütze, Siebenschläfer, Träumer, Polsterdrücker usw. Und auch die Sprichwörter lassen an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig: „Der Schlaf ist ein Dieb, er stiehlt uns die Hälfte des Lebens.“ „Der Schlaf ist ein Bruder des Todes.“ „Je länger man schläft, je weniger man lebt.“ „Je länger geschlafen, je weniger geschaffen.“ „Lange schlafen, tut Laster schaffen.“ Schlafen hat in unserer Kultur eine eher negative Bedeutung. Der Schlaf und dort besonders das Träumen stehen subversiv zum gesellschaftlichen Normenkatalog und zum verordneten Primat der Vernunft. Der Schlaf widerspricht dem Projekt der vernunftgeleiteten Selbstkontrolle. Man verliert seine Zeit, so der fromme Vorwurf, wenn man sich beständig weichlichen Träumen hingibt; wenn man die Vernunft, die dem Menschen zum Handeln verliehen wurde, durch Nichtstun einschläfert; wenn man die Kräfte der Natur durch träge Ruhe abstumpft, statt sie durch unermüdliche Tätigkeit zu schärfen. Die Dauerschlafmüßiggänger hätten das Leben mit dem Schlaf verwechselt. Wenn sie denn einmal gestorben sind, so wird man an ihrem Grabe kaum sagen können, dass sie je gelebt hätten, sondern nur ihren Schlaf fortsetzten. Und auf ihren Grabstein werde man den Spruch meißeln: „Hier liegt einer, der sein ganzes Leben verträumte“. (Vierzig Predigten, S.270) Für den fleißigen und regsamen Bürger ist der Schlaf eine einzige unliebsame Störung. Bedeutet er doch, dass über eine längere Strecke des 24-Stunden-Tages überhaupt nicht gearbeitet wird. Zudem ist ja zwischen einem Faulen und einem Schläfer äußerlich auch kaum ein Unterschied festzustellen. Der Schlaf, diese Sphäre der Untätigkeit, ist insofern nicht allein der kleine Bruder des Todes, sondern auch der Vetter des Müßiggangs und der Faulheit. Man solle sich einmal die Konsequenzen eines übermäßigen Schlafens vergegenwärtigen. Wenn man täglich nur eine Stunde länger schläft „als die Natur es fordert“, (Dinter) so kommen da pro Jahr fünfzehn volle Tage zusammen und in fünfzig Jahren summiert sich dies auf sage und schreibe zwei Jahre, die man durch zu viel Schlaf verliert. Der Schlaf, so die Mahnung, sei ganz generell eine Pause des Lebens, eine im Grunde störende Unterbrechung. Warum hat Gott den Menschen überhaupt Schlaf verordnet? Er selbst hat ja auch nicht geschlafen. In der Schöpfungsgeschichte ist zwar bekanntlich davon die Rede, dass sich Gott am siebten Tag ausgeruht hat. Von einem göttlichen Schlaf ist in der Bibel allerdings nichts zu lesen. So die spitzfindige Argumentation eines Pfarrers, der es ja wissen muss. „Ich nehme es für ausgemacht an, dass jeder Christ, welcher nicht durch besondere Leibesschwäche daran gehindert wird, des Morgens früh aufsteht. Es ist schwer zu glauben, dass viel Gutes an einem Sklaven der Schlafsucht sein könne...“ (Basedow 233) Schlaf sei nichts anderes als die „Betäubung unserer mit dem Dasein der gedachten Dinge übereinstimmenden Denkkraft, oder ein unnützes und mehrenteils auch unangenehmes Geschäft der Träumerei. Der übermäßige Schlaf mache unser ganzes Gemüt weichlich und verdrossen, und hindere uns, auch wachend recht wirksam zu sein. Leben ist doch nicht Atemholen, sondern Wirken.“ (Basedow, S. 233f.)
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