|
 |
 |
|
Gelehrter Müßiggang
Der gelehrte Müßiggang, so wird gesagt, bestehe ja nicht darin, dass einer gar nichts tut und nur träge in der Ecke hockt, sondern er sei vielmehr unaufhörlich bemüht, sich neues Wissen anzulesen. Allerdings, so kritisieren die Pfarrer, scheut er dabei jede Anstrengung und wählt nur die leichte Kost und schmökert sich wirr und ohne System durch Berge von Büchern. Das ganze bleibe meist folgenlos. Es gehe ihm nicht darum, die erworbenen Kenntnisse irgendwie anzuwenden oder weiter zu verarbeiten. Er begnügt sich damit, in dem riesigen „Körnerhaufen des Wissens“ (Robert Musil) wahllos herumzuschaufeln. Ein wissenschaftlicher Fortschritt sei dabei kaum festzustellen. Ohne jeden Kompass irre er durch Bibliotheken, getrieben von seiner unstillbaren Wissbegierde, die von unfruchtbaren Grübeleien begleitet werde.
Intellektueller Müßiggang findet sich, so heißt es weiter, aber nicht nur bei den Wissenschaftlern, sondern auch bei den Dichtern. Der berühmte Lyriker Eduard Mörike (1804-1875), der im Hauptberuf Pfarrer war, hatte gelegentlich keine Lust zu predigen; stattdessen legte er sich lieber unter einen Baum und überließ den Gottesdienst dem Vikar. Mörike hat bekanntlich wunderschöne Gedichte geschrieben und ist insofern für seinen Müßiggang entschuldigt. Es gibt aber auch Dichter, so der Vorwurf, die in ihrem eigenen Metier faul seien. Dies seien jene, deren Müßiggang darin bestehe, dass sie schlampig dichteten, also die Verse nicht richtig ausarbeiteten und z.B. den Reim wegließen. Man habe dies zu Recht als „Poesie der Faulen“ bezeichnet. (Venzky)
Der deutsche Philosoph Christian Thomasius (1655-1728) ist mit seiner Intellektuellenzunft hart ins Gericht gegangen. Ebenso wie die Kirche zweifelt er den gesellschaftlichen Nutzen an, wenn die Gelehrten unentwegt in Bibliotheken und Buchläden laufen, sich den Kopf immer mehr mit Wissen anfüllen und „immer noch mehr nachschütten.“ (S. 417) Auch das Argument, dass fortwährendes wissenschaftliches Herumstöbern und Schaufeln -wenn es auch zunächst ganz nutzlos sei- doch immerhin den Geist schärfe, will Thomasius nicht gelten lassen. Denn allzu viele Übung könne eher ungeschickt als geschickt machen, so wie ein Messer, das allzu sehr geschliffen, ja auch wieder stumpf wird.
Bei den Forschern, so die Kritik der Kirche, habe sich die Triebstruktur im unmittelbaren Wortsinne auf den Kopf gestellt. Nicht die Selbsterhaltung, wie bei den meisten Menschen, habe bei ihnen den Primat, sondern die Wissbegierde. Alles sei bei ihnen diesem Streben nach Erkenntnis und Wissen untergeordnet. Am Leben hingen sie nur insoweit, als es ihnen die Möglichkeit gebe, sich in die Lagerräume ihres Wissens zurückzuziehen und dort drauflos zu forschen. Ein prominentes Beispiel aus der neueren Literatur ist der Privatgelehrte Peter Kien in Elias Canettis (1905-1994), Roman „Die Blendung“. Peter Kien ist ein wissenschaftliches Genie, dabei ist ihm aber die Alltagswelt restlos abhandengekommen und er gerät immer mehr unter die Räder. Der Roman endet damit, dass der große Forscher in seiner Bibliothek verbrennt.
Wer sich den Ausschweifungen der Wissenschaft hingibt, zahlt oftmals einen hohen Preis. So die Warnung der Theologen. Der Körper rächt sich. Es stellten sich Herzbeschwerden und Kreislaufprobleme ein. Der Rücken werde immer krummer und die Muskeln immer schlaffer. Diese körperlichen Unbilden würden von den Gelehrten aber klaglos hingenommen, wenn sie nur ihrem Wissensfortschritt dienten.
|
|
|