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Fromme Singvögel
Der Heilige Simeon war stets darauf erpicht, sich neue und immer schwierigere asketische Meisterleistungen auszudenken und zu vollführen. So grub er sich einmal in einer öden und abgeschiedenen Gegend bis zur Brust ein und trotzte in dieser unbequemen Haltung sage und schreibe zwei Jahre der Sommerhitze und der winterlichen Eiseskälte. Ein andermal ließ er sich in eine Klosterruine einmauern und harrte dort ohne Nahrung fast bis zum Hungertode aus. Doch all dies genügte ihm nicht; es zog ihn deshalb auf einen Berg, wo er sich mit einer schweren Eisenkette an einen Felsen anschmieden ließ. Richtig berühmt wurde Simeon jedoch erst durch seine Säulensteherei. Die Säulen, auf die er sich stellte, nahmen im Laufe der Zeit immer höhere Ausmaße an; die letzte maß 20 Meter. Auf ihr verharrte er - im Stehen!! - geschlagene 30 Jahre bis zum Ende seines Lebens. So wird es jedenfalls berichtet. All diese bizarren Übungen und noch viele andere mehr vollführte Simeon, um seine Tugend zu festigen, sich vom Irdischen abzuwenden und vor allem um Gott zu gefallen.
Derartige asketische Extremformen, wie sie bei den Wüstenheiligen des frühen Mittelalters verbreitet waren, stießen im späteren Christentum kaum auf Gegenliebe. Für das Leben eines normalen Alltagschristen waren all diese Übungen natürlich völlig ungeeignet. Denn wenn man sie derartig übertreibe, wie es die Einsiedler betrieben hatten, so entstünde daraus statt christlicher Frömmigkeit, nichts weiter als ein frommer Müßiggang, der die Zeit mit Fasten, Beten, Singen und anderen willkürlichen Bußübungen vergeude. „Denn Müßiggang, wenn er auch fromm heißt, lehrt doch viel Böses«. (Krug, S.243)
Fromme Müßiggänger finde man zu allen Zeiten und überall in der Christenheit, „die mit Singen und Beten, mit gottseligen Zusam- menkünften, oder Gesprächen von ihren geistlichen Empfindungen alle ihre Zeit verbringen und sich, von pharisäischem Dünkel aufgebläht, für sonderlich auserwählte, für Kinder Gottes halten, da sie doch nur eine Herde frommer Müßiggänger sind.“ (Predigten für Hausväter und Hausmütter Bd.1, S.135) Der fromme Müßiggänger, so die kirchliche Kritik, begnügt sich mit Äußerlichkeiten. Er erscheint pünktlich zum Gottesdienst und setzt dort eine fromme Miene auf. Er betet einen Rosenkranz nach dem anderen herunter und glaubt, dass dies bereits genügt, um Gott näher zu kommen. Oftmals verfielen solche Menschen in eine derartige Frömmelei und übertriebene Askese, die von einem schlechten Gewissen geplagt würden, weil sie sich in ihrem früheren Leben allen nur denkbaren Eitelkeiten, Zerstreuungen und Lüsten hingegeben hatten.
Frommer Müßiggang sei oft nichts anderes als Vorwand, um sich von den Berufsgeschäften und dem Alltag zu drücken. Wenn einer nicht krank ist und die Fähigkeit hat, einer sinnvollen Arbeit nachzugehen, aber nur faul in der Ecke sitzt und betet, so sei er nichts anderes als „eine Null in der Menschengesellschaft, und vor Gott ein verwerflicher Knecht, weil er Gutes tun könnte und sollte.“ (Riegler, S.606)
Aktives Handeln in der Welt und nicht frommer Müßiggang sei das, was Gott vom Menschen erwarte. Insgesamt befänden sich diese frommen Müßiggänger auf dem Holzweg. Das von ihnen gesungene und gebetete Christentum habe mit einem Gott wohlgefälligen Leben nichts zu tun. Und es sei deshalb auch nur konsequent, wenn „diesen frommen Singvögeln die Federn ausgerupft würden.“ (Maier 1812, S.57 )
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