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"Faules Bettelpack"
Anders als im Mittelalter wurde in der Neuzeit (und auch heute) zwischen Betteln und Arbeit ein direkter Zusammenhang hergestellt. Arbeit wird zum Gegenpol von Betteln. Galten früher (noch im 16. Jh.) ökonomische, politische und klimatische (Hungersnöte) Faktoren als Ursachen für das Betteln, so wird das Problem im Laufe der Zeit immer stärker auf vermeintlich schlechte Charaktereigenschaften der Bettler zurückgeführt. Getreu der Devise, die sich ja bis heute beharrlich hält, dass Menschen, die keine Arbeit haben, Müßiggänger und Faulenzer seien. Waren die Bettler nicht krüppelhaft, blind oder lahm, so durften sie beim Betteln nicht müßig stehen, sondern mussten spinnen oder eine andere leichte Arbeit verrichten. Dabei ging es darum, dass sie ihre Arbeitswilligkeit demonstrieren sollten, ganz unabhängig vom ökonomischen Nutzen der betreffenden Arbeit. In den Armenordnungen insbesondere des 16. Jahrhunderts häufte sich die Kritik an Müßiggang und Völlerei, am Trunk und am Spiel. Wer Wirtshäuser besuchte oder sonstwie einem liederlichen oder lasterhaften Lebenswandel nachging, dem wurde sehr nachdrücklich mit dem Entzug der Unterstützung gedroht. Systematisch wurde nun zwischen einheimischen und fremden Bettlern und ebenso zwischen arbeits- unfähigen, kranken Bettlern einerseits, und gesunden aber arbeits- scheuen Bettlern andererseits unterschieden. Die heimischen ortsansässigen Bettler bildeten gleichsam die Oberschicht der Bettler. Sie durften bleiben und erhielten Zuwendungen, während alle anderen von Ort zu Ort ziehen mussten. Betteln wurde nun zu einer strafbaren Handlung, während man sie bisher lediglich als ein Laster angesehen hatte.
Verbreitet war damals auch eine ausgesprochen rabiate Methode, um sich der Bettler zu entledigen: „Wenn nämlich in einem Dorfe sich ein Krüppel oder kranker Bettler findet, der nicht fort kann, so wird er von dem Anspänner, an dem die Reihe ist, aufgeladen, ins nächste Dorf gefahren, dort von neuem aufgeladen und solange herumgefahren, bis er tot ist.“ (Rochow, Armenanstalten, S. 10) Was hier beschrieben wird, sind die sog. Bettelfuhren, die vor allem im 18. Jahrhundert gang und gäbe waren. „Immer wieder ist zu erfahren, dass Gemeinden einen sterbenden Landfahrer schnell noch auf die Bettelfuhr laden, um dem Nachbardorf die Begräbniskosten aufzuhalsen.“ (Schubert, S. 219) Dass Bettler oder im Krieg verwundete Soldaten, wieder in ihr Heimatland zurückgebracht werden sollten, empfanden die dortigen Bürger und Obrigkeiten freilich oftmals als Zumutung. Handelte es sich bei diesen Menschen doch gleichsam um eine „unbrauchbar gewordene Ware“, die zu nichts mehr zu gebrauchen war. (Cella, S.37)
Je mehr sich vor allem seit dem 19. Jahrhundert das Betteln infolge massiver ökonomischer und sozialer Verwerfungen ausbreitete, desto härter wurde der Ton. „Die Bettelnden sind dem Ungeziefer zu vergleichen, welches den menschlichen Körper abzehrt und siech macht.“ (Rochow, S.5) Und hundert Jahre später findet man noch rigorosere Worte. „Mit all diesem Feuer und Schwert ist ja auch die Landplage nicht ausgerottet worden. Der eiserne Besen des Staates musste zwar versuchen, die Pilz- und Schimmel-Bildung auszufegen, welche auf dem versumpften Boden der mittelalterlichen Kirche empor gesprosst war; aber ganz fertig wurde er nie damit, Das Unkraut wuchs immer wieder nach.“ (Lammers 1897, S. 177)
Von hier bis zur Rassenideologie und der Untermenschentheorie der Nazis war es nur ein kurzer Weg. Sogenannte „Asoziale“ gerieten bereits 1933 ins Visier der NS-Behörden, weil zum einen die sog. Rassenhygiene von einer Vererbung kriminellen und von der erwünschten Norm abweichenden Verhaltens ausging. Zum anderen galt der arbeitsscheue „Asoziale“ als Antityp zu den produktiven deutschen Volksgenossen. (Schreiber, S.85) Mit der Überweisung von sog. Asozialen aus dem Strafvollzug an die SS und ihre Verschleppung in die Konzentrationslager verfolgten die Nazis zwei Zwecke:
Zum einen ging es um die Ausbeutung der Arbeitskraft der Häftlinge, zum anderen um ihre Vernichtung. Beide Motive vereinigten sich schließlich in der Devise von der „Vernichtung durch Arbeit“, die von Goebbels 1942 erstmals formuliert wurde. Dies bedeutete, dass man die sog. Asozialen in Konzentrationslager einwies und sie dort unter mörderischen Bedingungen zur Arbeit prügelte bis sie buchstäblich tot umfielen.
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